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Die Notwendigkeit von Großprojekten: Die Neue Seidenstraße wird zur Weltlandbrücke

Den folgenden Vortrag hielt Helga Zepp-LaRouche am 2. Dezember 2015 vor Unternehmern und Managern am Canon Institute for Global Studies in Tokio. Er wurde aus dem Englischen übersetzt.


Sehr geehrte Damen und Herren,

allein schon die Vielzahl der brandgefährlichen Krisen rund um den Globus (Abbildung 1) läßt frühere Vorkriegssituationen vergleichsweise ruhig erscheinen. Der jüngste Abschuß eines russischen Kampfjets durch die Türkei, von dem informierte amerikanische Beobachter sagen, daß er ohne stillschweigende Unterstützung aus dem Weißen Haus niemalsgeschehen wäre, und die anschließende Unterstützung Präsident Obamas sowie der NATO für die türkische Aktion demonstrieren – angesichts der Tatsache, daß sich die Kernwaffenarsenale der Vereinigten Staaten und Rußlands in „Launch on warning“-Abschußbereitschaft mit einer Vorwarnzeit von wenigen Minuten befinden -, wie dicht wir davor stehen, daß aus dem neuen Kalten Krieg ein heißer Krieg wird.

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Abb. 1: Einschätzung der Krisengefahr in den Metropolen der Welt.

Die Tatsache, daß Rußland und China das amerikanische Raketenabwehrsystem in Osteuropa, die Doktrin „Prompt Global Strike“ und die Doktrin „Air-Sea Battle“ zu recht als gegen ihre Nationen gerichtete Erstschlagsdoktrinen betrachten, führt jetzt bereits zu einem neuen Rüstungswettlauf. Transatlantische Militärexperten warnen, die Lage sei noch gefährlicher als auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges, weil es weder Verhaltensregeln noch ein verläßliches „rotes Telefon“ zwischen den USA und Rußland gibt.

Dahinter steckt die übergreifende Dynamik, die dadurch entsteht, daß die Vereinigten Staaten darauf beharren, eine unipolare Welt aufrechtzuerhalten, während das aufstrebende Asien schon allein durch sein Gewicht eine multipolare Welt schafft. Die Warnungen von Experten wie dem früheren Vorsitzenden der Vereinten Stabschefs der USA, General Martin Dempsey, der Westen dürfe nicht in die „Thukydides-Falle“ tappen, werden anscheinend nicht beherzigt.

Weiterhin unterstreichen die Krisenlage in der Ukraine, die Spannungen im Südchinesischen Meer und die Barbarei satanischen Ausmaßes von ISIS und Boko Haram, in welcher tödlichen Gefahr sich die Menschheit befindet.

Ebenso existenzbedrohend ist die Aussicht auf einen neuen Crash des transatlantischen Finanzsystems, der noch dramatischer wäre als der Zusammenbruch von Lehman Brothers 2008, weil den Zentralbanken keine Instrumente mehr dagegen verblieben sind.

Sind wir dazu verdammt, diesen Weg weiterzugehen, wenn alles darauf hindeutet, daß diese Konflikte wahrscheinlich entweder zu weltweitem Chaos oder zu einem thermonuklearen Weltkrieg mit der wahrscheinlichen Auslöschung der menschlichen Gattung eskalieren werden? Ist die Menschheit zu dumm, gleichgültig oder degeneriert, um einen politischen Kurs aufzugeben, selbst wenn dessen Scheitern unübersehbar geworden ist?

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Schon im 15. Jahrhundert sagte der berühmte deutsche Philosoph Nikolaus von Kues (Abbildung 2), daß komplizierte Probleme nicht durch eine heterogene Ansammlung von Teillösungen behoben werden können; vielmehr müsse man eine Lösung auf einer höheren Ebene finden, auf der sich die Widersprüche der unteren Ebene auflösen. Er nannte dies die Methode der coincidentia oppositorum, des Zusammenfallens der Gegensätze: die Idee, daß das Eine von einer höheren Ordnung ist als das Viele. Diese Methode müssen wir anwenden, um ein neues Paradigma in der Evolution der menschlichen Gattung zu definieren. Und es ist mehr als möglich, ein neues Paradigma zu definieren, das dem wahren Interesse aller Nationen und aller Gruppen entspricht.

Eine Bereitschaft, solche neuen Ideen zu erwägen, existiert gewöhnlich nur dann, wenn die Menschen erkennen, daß die Annahmen, die sie bis dahin lange Zeit für selbstverständlich hielten, plötzlich in ihren Grundfesten erschüttert sind. Und das ist genau der Moment, in dem wir uns jetzt überall auf der Welt befinden.

Das gilt ganz besonders für Deutschland, wo nun in vielen Kreisen eine qualitativ neue Debatte darüber stattfindet, daß die strategische Lage neu überdacht werden muß, ausgehend von der Erkenntnis, daß wir bei einer Fortsetzung der gegenwärtigen Politik „mit Höchstgeschwindigkeit vor die Wand fahren“ würden.

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Abb. 2: Kardinal Nikolaus von Kues

Vor allem ließ die Flüchtlingskrise die Illusion platzen, das Land wäre eine Insel der Stabilität und Kriege wären weit weg (Abbildung 3). Plötzlich gibt es eine öffentliche Debatte über die Ursachen dieser Flüchtlingskrise, die den Zusammenhalt der EU sprengt: die anglo-amerikanischen Kriege, die auf Lügen beruhten, die saudische Finanzierung des Terrorismus, die Ölgeschäfte der Türkei mit ISIS, etc.

All dies schafft eine Offenheit dafür, daß ein dramatischer Kurswechsel in der Politik notwendig ist! Wenn der Terrorismus dauerhaft ausgemerzt und die Flüchtlingskrise überwunden werden sollen, muß man bei den Operationen gegen ISIS dessen dezentralisierte Struktur in vielen Ländern berücksichtigen, aber militärische Mittel reichen nicht. Was man braucht, ist wirkliche Entwicklung!

Man muß einen umfassenden Wiederaufbauplan für Südwestasien und Afrika auf die Tagesordnung setzen. Nur wenn die jungen Menschen und insbesondere die jungen Männer eine Zukunftsperspektive haben, die Chance, eine Familie zu gründen, Wissenschaftler, Ärzte oder Architekten zu werden, kann das Rekrutierungsumfeld der Dschihadisten ausgetrocknet werden.

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Abb. 3: Syrische Flüchtlinge

Die einzige realistische Perspektive, dieses Ziel zu erreichen, besteht heute darin, die Strategie der Neuen Seidenstraße in den Nahen und Mittleren Osten und nach Afrika auszuweiten. Die Grundzüge dafür haben wir in der Studie „Die Neue Seidenstraße wird zum Weltlandbrücke“ (Abbildung 4) dargestellt, die die Grundlagen für ein globales Wiederaufbauprogramm definiert.

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Große Teile Südwestasiens wurden „in die Steinzeit zurückgebombt“ oder waren bereits Wüste. Ein umfassendes Infrastrukturprogramm für die ganze Region von Afghanistan bis zum Mittelmeer, vom Kaukasus bis zum Persischen Golf muß auf die Tagesordnung gesetzt werden (Abbildung 5). Wir müssen einen Krieg gegen die Wüsten ausrufen, es müssen große Mengen an Trinkwasser erzeugt werden durch Entsalzung von Meerwasser mit Hilfe von Kernenergie, Ionisierung der Feuchtigkeit in der Atmosphäre, Schaffung neuer Niederschlagsmuster für die Entwicklung der Landwirtschaft und Aufforstung. Infrastrukturkorridore mit integrierten Schnellbahnnetzen, Autobahnen und Wasserstraßen müssen gebaut werden, um die Voraussetzungen für Industrieansiedelung und den Bau neuer Städte zu schaffen.

Alle großen Staaten in der Nachbarschaft Südwestasiens haben ein fundamentales Sicherheitsinteresse daran, sich an einem solchen Ansatz zu beteiligen, und müssen daher in diesem Projekt ihre Kräfte bündeln: Rußland, wegen der engen Verbindung zwischen ISIS und den tschetschenischen Terrornetzwerken und wegen des Zustroms von Heroin aus Afghanistan nach Rußland; China, wegen der Verbindung zwischen ISIS und den Uiguren; Indien, weil es eine muslimische Bevölkerung von 120 Millionen Menschen hat und es in Mumbai und anderen Städten bereits Terroranschläge von Wahabiten und Salafisten gab. Der Iran und Ägypten, aber auch Deutschland, Frankreich und Italien, und realistisch betrachtet sicher auch die Vereinigten Staaten, haben ein fundamentales Interesse, dieses Problem zu lösen.

Alle Länder und Regionen würden von der Weltlandbrücke profitieren:

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Abb 4: Die Infrastrukturkorridore der Weltlandbrücke

1. Japan: Mit der Beteiligung an den Großprojekten der Weltlandbrücke würde Japan an die Tradition der Meiji-Restauration unter Okubo Toshimichi und Okuma Shigenobu (Abbildung 6) und ihrer von Alexander Hamilton und Friedrich List inspirierten Politik anknüpfen: nämlich die Entwicklung der Kreativität der menschlichen Arbeit und die staatliche Entwicklung von Wissenschaft und Technik als den Quellen des Wohlstands in der Gesellschaft – eine Tradition, die nach dem Zweiten Weltkrieg vom MITI [Ministerium für Internationalen Handel und Industrie] und vom Mitsubishi Global Infrastructure Fund weitergeführt wurde, was bereits viele der Projekte, die jetzt Teil des Programms der Weltlandbrücke sind, mit einschloß.

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Abb. 6: Anführer der Meiji-Restauration in Japan, die die Industrialisierung des Landes einleitete: Okubo Toshimichi (1830-1878, links im Bild) und Okuma Shigenobu (1838-1922)

Eines dieser Projekte, der Kra-Kanal, der die Ausweitung der Warenströme in der Pazifikregion ermöglichen würde, ist heute wieder auf dem Tisch (Abbildung 7); in Nikaragua baut China einen zweiten Panamakanal; der Komplex des Mekong-Deltas muß immer noch dringend angepackt werden; das Transaqua-Projekt wird derzeit von mehreren afrikanischen Ländern reaktiviert, es läuft eine Machbarkeitsstudie.

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Abb. 7: Mögliche Strecken- führungen eines Kanals durch den Isthmus von Kra

Auch der Bau des Beringstraßen-Tunnels (Abbildung 8) ist jetzt, angesichts der Zusammenarbeit zwischen Rußland und China bei der Politik „Ein Gürtel, eine Straße“ und der Eurasischen Wirtschaftsunion, wieder aktuell, insbesondere für Sibirien und den Fernen Osten.

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Abb. 8: Durch den Bau des Beringstraßen-Tunnels würde der amerikanische Kontinent mit dem Netzwerk der Neuen Seidenstraße verbunden

2. Vereinigte Staaten: Die USA würden nicht nur davon profitieren, sich der Entwicklung Afrikas und Südwestasiens anzuschließen, sie brauchen auch selbst dringend ein Wiederaufbauprogramm. Wenn die USA der Methode der Neuen Seidenstraße folgen würden, dann bedeutete das den Bau eines kontinentalen Hochgeschwindigkeits-Eisenbahnnetzes mit 50.000 km Streckenlänge (Abbildung 9), neue Wissenschaftsstädte (Abbildung 10) südlich und westlich der Rocky Mountains sowie verschiedene Programme, die neue Wetterabläufe schaffen.

Proposed high-speed rail for US lower 48 states.

Abb. 9: Vorgeschlagenes Streckennetz für Hochgeschwindigkeitsbahnen in den Vereinigten Staaten

 

3. Ukraine: Die Zusammenarbeit zwischen Europa, der Eurasischen Wirtschaftsunion und dem Plan „Ein Gürtel, eine Straße“ für den Bau von Infrastrukturkorridoren (Abbildung 11) könnte die Ukraine wieder einigen, indem das ganze Land Teil hat an einem Wirtschaftswunder, anstatt am gegenwärtigen wirtschaftlichen Kollaps.

4. Europa: Ganz Europa hat einen gewaltigen Rückstau an Infrastrukturinvestitionen. Allein in Deutschland beläuft er sich auf rund 2 Billionen Euro. Schon 2012 hat das Schiller-Institut einen „Plan für ein neues Wirtschaftswunder in Südeuropa, dem Mittelmeerraum und Afrika“ vorgelegt (Abbildung 12), als Alternative zu der verheerenden Austeritätspolitik der Troika.

Angesichts der Eskalation der Flüchtlingskrise würde dieses Entwicklungsprogramm als Verlängerung der Neuen Seidenstraße die Gesamtlage vollkommen verändern.

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Abb. 12: Die Infrastruktur- korridore des vom Schiller-Institut vorgelegten „Plan für ein Wirtschaftswunder in Süd- europa, dem Mittelmeerraum und Afrika“

5. Afrika: Wegen der Kombination von Kriegen und Verweigerung wirtschaftlicher Entwicklung aufgrund ökologischer und monetaristischer Ideologien erinnern große Teile des Kontinents viel mehr an eine Hölle auf Erden als an Heimatländer. Würde man eine internationale Zusammenarbeit an einem umfassenden Entwicklungsplan für den ganzen Kontinent ankündigen und mit dessen Umsetzung beginnen (Abbildung 13), dann wäre das für Millionen Menschen, die heute vor Krieg, Terrorismus, Hunger und Seuchen fliehen, eine mächtige Botschaft der Hoffnung.

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Abb. 13: Vorgeschlagenes Netz von Infrastrukturkorridoren und Standorten für agroindustrielle Komplexe in Afrika

Die Weltlandbrücke als konkrete Grundlage einer Friedensordnung des 21. Jahrhunderts setzt jedoch ein neues Paradigma des Denkens voraus. Die „Legitimierung“ der Geopolitik – die Vorstellung, ein Land oder eine Gruppe von Ländern habe ein Eigeninteresse, das es oder sie gegenüber anderen Ländern verfolgt, notfalls auch mit militärischen Mitteln – ist im Zeitalter thermonuklearer Waffen offensichtlich überholt – es sei denn, man will die Vernichtung der gesamten menschlichen Gattung riskieren. Die Annahme, auf der Grundlage einer Erstschlagsdoktrin einen „begrenzten“ Nuklearkrieg „gewinnen“ zu können, ist grotesk, und wurde durch einwandfreie militärische Analysen widerlegt. So etwas sollte nach den Nürnberger Statuten gerichtlich verfolgt werden.

Die Menschheit wird die gegenwärtige Existenzkrise nur überstehen können, wenn wir den qualitativen Sprung schaffen, die gemeinsamen Interessen der Menschheit als Bezugspunkt zu definieren. Die Frage „Wo sollte die Menschheit insgesamt in hundert, in tausend Jahren und danach sein?“ muß die Entscheidungen leiten. Die Weltlandbrücke vollendet nicht nur die infrastrukturelle Erschließung der landeingeschlossenen Gebiete aller Kontinente, sie definiert auch die nächste Phase der Evolution der menschlichen Gattung, indem sie die Idee der Infrastruktur auf den Weltraum ausdehnt (Abbildung 14).

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Abb. 14: Durch die Raumfahrt wird das Infrastrukturnetz der Seidenstraße bis in den Weltraum erweitert

Wenn im Idealfall ein Sondergipfel der Vollversammlung der Vereinten Nationen, sonst ein vorgezogener G20-Gipfel oder als Minimum ein Treffen der am meisten zukunftsorientierten Führungspersönlichkeiten der Welt, aus Regierungsämtern wie gegenwärtigen und früheren Vertretern von Wissenschaft, Industrie, Diplomatie und Kultur, einen solchen weltweiten Marshallplan als Friedensplan für das 21. Jahrhundert auf den Tisch bringen würde, gäbe dies der Welt plötzlich eine hoffnungsvolle Perspektive.

Die Idee der Weltlandbrücke schafft eine höhere Ebene der Vernunft, auf der alle historischen und ethnischen Konflikte verschwinden oder in der höheren Geometrie entschärft sind. So scheinen beispielsweise die Spannungen zwischen Japan und China manchmal unüberwindlich; aber im Kontext der Zusammenarbeit mit Indien, Rußland und den Nationen Südostasiens und Europas für einen Plan des Friedens durch Entwicklung würde der gegenseitige Nutzen einer solchen Win-Win-Perspektive zum überwältigenden Anreiz, lieber die Zukunft zu gestalten, als die Vergangenheit zu wiederholen.

Es gibt offensichtlich Unterschiede zu der Lage im Dreißigjährigen Krieg, aber was die verschiedenen Parteien damals motivierte, sich an den Verhandlungstisch zu setzen und den berühmten Westfälischen Frieden zu schließen, war die Erkenntnis, daß es, wenn dieser Religionskrieg weiterginge, bald niemanden mehr geben würde, der sich an einem Sieg erfreuen könnte. Der Westfälische Friedensvertrag hielt erstmals in der europäischen Geschichte fest, daß der Frieden nur erhalten bleiben kann, wenn die Außenpolitik immer die „Interessen des anderen“ berücksichtigt, und daß sie nicht auf Rache beruhen kann, sondern auf Liebe beruhen muß. Der Vertrag wurde zur Grundlage des Völkerrechts und dann der UN-Charta, und er muß auch, anders als manche denken, in Südwestasien angewandt werden.

Leider ist die Achtung vor dem Völkerrecht verschwunden. Die höchste Autorität der UN, der UN-Sicherheitsrat, funktioniert seit der Regimewechseloperation gegen Gaddafi nicht mehr.

Deshalb muß das Völkerrecht weiterentwickelt werden. Das Prinzip, auf das man sich einigen  und als Präambel aller weiteren Aspekte einschließen muß, ist das der gemeinsamen Ziele der Menschheit – daß es kein legitimes Interesse irgendeiner Nation geben kann, das nicht mit dem Interesse der gesamten Menschheit für ihre gegenwärtige und zukünftige Existenz vereinbar wäre.

Die Prinzipien der UN-Charta bleiben gültig, aber diese Präambel muß eine höhere Gesetzmäßigkeit berücksichtigen, die in den verschiedenen Kulturen unterschiedlich bezeichnet wird: in der europäischen Philosophie als „Naturrecht“, in der asiatischen Philosophie als „kosmische Ordnung“. Es drückt die Idee aus, daß die Menschheit als ganze im physischen Universum nur überleben kann, wenn die Methoden in Politik und Wirtschaft auf dem Planeten Erde in Übereinstimmung mit den Gesetzen unseres Universums gebracht werden.

Der Mensch ist kein Tier, das dazu verurteilt ist, die Existenzweise der Vergangenheit fortzusetzen. Die Menschheit besitzt die Eigenschaft der Kreativität, sie kann immer mehr grundlegende Prinzipien unseres Universums entdecken, die ihren Charakter als Gattung immer wieder neu definieren. Als Kepler das einigende Prinzip unseres Sonnensystems entdeckte, schuf er die Grundlage dafür, daß die Menschheit eine vollkommen andere Gattung wird, die nicht länger an die Erde gebunden ist, sondern Teil des Sonnensystems ist.

Als Einstein die allgemeine Relativitätstheorie entdeckte, schuf er die Voraussetzungen dafür, daß der Mensch den Weltraum erforschen kann. Wir wissen heute aus der Erdgeschichte, daß es hier Einflüsse aus der Wechselbeziehung unseres Sonnensystems zur Galaxis gibt, die Zyklen der Klimaveränderung und Variationen im evolutionären Prozeß des Lebens bewirken. Wir müssen das einigende Prinzip unserer Galaxis noch entdecken, so wie Kepler das einigende Prinzip unseres Sonnensystems entdeckte.

Was also ist die Bedeutung der Kreativität des menschlichen Geistes als integralem Bestandteil der Gesetze unseres Universums? Und wo liegt die Zukunft der Menschheit? Die nächste Phase der Arbeit im Weltraum, in der Galaxis und darüber hinaus erfordert eine Zusammenarbeit der führenden Wissenschaftler der großen Nationen, um die Gesetze unseres Universums als neues Pioniergebiet der Forschung zu entdecken. Wir müssen Fähigkeiten der Menschheit entdecken, die uns bisher noch gänzlich unbekannt sind – so wie das Helium-3 auf dem Mond zu Keplers Zeit noch nicht bekannt war -, wenn die Menschheit fortbestehen soll.

Es gibt kein geschlossenes System Erde, vielmehr ist das Leben auf der Erde durch die Gesetzmäßigkeiten der Interaktion des Sonnensystems mit der Galaxis bestimmt, und das zugrundeliegende Prinzip aller dieser Milliarden von Galaxien müssen wir noch entdecken. Die Bedeutung des Lebens liegt im Fortschritt der menschlichen Fähigkeit, die Herausforderungen der Entdeckungen auf dem Weg zu meistern, damit die Menschheit noch in Millionen und Milliarden Jahren weiter existieren kann. Bisher haben wir nur die Schatten dieses Prinzips entdeckt.

Deshalb ist es eine Voraussetzung für unsere Existenz, zu den Prinzipien physischer Wirtschaft und wirklicher Wissenschaft zurückzukehren und den Monetarismus abzuschaffen. Wir müssen das historische Wissen über die theoretischen Grundlagen der verschiedenen industriellen Revolutionen, das aus den volkswirtschaftlichen Lehrbüchern westlicher Universitäten fast völlig ausgemerzt wurde, wieder herstellen.

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Abb. 15: Setzten sich für die Prinzipien der physischen Wirtschaft ein: Henry Carey (o.l), Graf Witte (o.r.), Friedrich List (u.l) und Gottfried Wilhelm Leibniz (u.r.)

Denn es ist eine Tatsache, daß die industriellen Revolutionen in den Vereinigten Staaten, in Deutschland, Japan und Rußland wie jüngst das chinesische Wirtschaftswunder stets auf den Prinzipien der physischen Wirtschaft von Gottfried Wilhelm Leibniz, Friedrich List, dem Amerikanischen System von Mathew und Henry Carey und von Graf Witte beruhten (Abbildung 15).

Die Meiji-Restauration schaffte es dank der Theorien Alexander Hamiltons und Friedrich Lists, Japan schnell in eine der wirtschaftlichen Weltmächte zu verwandeln. (Erasmus Smith, ein enger Mitarbeiter von Lincolns Wirtschaftsberater Henry Carey, wurde von der Regierung Ulysses Grant als offizieller Wirtschaftsberater zur Meiji-Restauration entsandt.)

Die schnelle Umwandlung Deutschlands aus einem Feudalstaat in ein wirtschaftliches Kraftzentrum basierte ganz auf der Tradition Friedrich Lists und auf Bismarcks Begegnung mit dem Wirtschaftsmodell Henry C. Careys, vermittelt durch den damaligen Chef des deutschen Industrieverbands, Wilhelm von Kardorff. Deutschland wäre keine Industrienation geworden, wenn Bismarck nicht vom Anhänger der Freihandelstheorien zu einem Vorkämpfer der protektionistischen Politik von List und Carey bekehrt worden wäre.

Das chinesische Wirtschaftswunder der letzten 30 Jahre, allen voran die Strategie der Neuen Seidenstraße und das alternative Bankensystem mit der Asiatischen Infrastruktur-Investitionsbank (AIIB), der Neuen Entwicklungsbank und den Fonds für die Seidenstraße und die Maritime Seidenstraße, folgt der gleichen Tradition. Beim 5. Weltkongreß für Chinastudien im Frühjahr 2013 in Shanghai und bei der List-Konferenz in Reutlingen 2014 wurde nachdrücklich hervorgehoben, daß der deutsche Ökonom, und nicht etwa Adam Smith, der populärste Wirtschaftstheoretiker in China ist.

List war die Entwicklung der produktiven Kräfte der Arbeiter und der industriellen Kapazitäten wichtiger als statistischer Reichtum – er wäre heute ein vehementer Kritiker der auf bloße Vermögenswerte fixierten Volkswirtschaften. In einem Papier, das er 1837 einem Wettbewerb der Französischen Akademie der Wissenschaften vorlegte, entwickelte er die Vision der zukünftigen Rolle der Verkehrsnetze, eine „Raum- und Zeitökonomie“, die Ideen enthält, die noch heute für die Weltlandbrücke Gültigkeit haben.

Er sah in der ständigen Vervollkommnung der Verkehrs- und Kommunikationssysteme die Voraussetzung für den Fortschritt der Menschheit, das sie den Menschen erlauben, alle ihnen von der Natur gegebenen Potentiale zunehmend zu entfalten. Je mehr Talente ihre Ideen austauschen und in allen Bereichen zusammenarbeiten könnten, desto größer werde der Fortschritt in allen Bereichen des Wissens sein und desto mehr würden die Wissenschaften und Künste angeregt und sich in alle Bereiche und Disziplinen des Wissens ausbreiten. Unser heutiges Zeitalter der Düsenjets vorausnehmend sagte er, je leichter es für den Menschen werde, sich von einem Ort zum anderen zu bewegen, desto mehr Zeit würde er sparen und mehr Raum dicht zusammendrängen, und desto mehr würde er die Entwicklung und Effizienz ihrer Kräfte steigern und den materiellen Reichtum der Natur für seine Zwecke nutzen.

Die Wirkung dieser Eigenschaft der „Raum- und Zeitökonomie“, wie er sie nannte, würde sich am Reichtum der Nationen zeigen, die ein fortgeschrittenes Verkehrs- und Kommunikationssystem aufbauen, auch wenn ihr „natürliches Umfeld“ ungünstig ist. Das hohe Maß an Geschwindigkeit, Regelmäßigkeit und Kosteneffizienz des Verkehrs werde neue Ebenen der Entwicklung der geistigen und materiellen Produktionskräfte ermöglichen.

In einer beinahe prophetischen Vorhersage sah er voraus, daß diese Entwicklung auf die Einigung aller Nationen zu einer Menschheit, einer „Republik des Planeten“ auf der Grundlage der „Ökonomie der Menschheit“ hinführen werde.

Die Verwirklichung der Weltlandbrücke, ausgehend von den gemeinsamen Zielen der Menschheit, ist schon in naher Zukunft völlig machbar. Sie muß jedoch mit einem Dialog zwischen den Hochphasen der verschiedenen Kulturen der Welt einhergehen. Für viele asiatische Länder bedeutet dies Konfuzius; für Indien bedeutet es die Gupta-Periode und die indische Renaissance; für Rußland Alexander Puschkin und Wladimir Wernadskij, für Italien die italienische Renaissance, für Deutschland die Klassik der Musik und Dichtung. Aus der Kenntnis der anderen Kulturen wird Liebe und Bewunderung erwachsen. Nur so erhalten die Vertreter der verschiedenen Kulturen Zugang zu den Grundlagen ihrer Identität als Mitglieder der einzigen uns bekannten schöpferischen Gattung im Universum, die bisher zwar noch in den Kinderschuhen steckt, die aber eine unsterbliche Gattung werden kann und muß.

Um diese Vision zu verwirklichen, brauchen wir heute Persönlichkeiten, die von einer leidenschaftlichen Liebe zur Menschheit geleitet sind.

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