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Die Welt braucht dringend eine neue, inklusive Sicherheitsarchitektur!

Die Welt braucht dringend eine neue, inklusive Sicherheitsarchitektur!

von Helga Zepp-LaRouche

 

Beim Referendum über die Unabhängigkeit Schottlands ist London noch einmal für den Augenblick mit Ach und Krach davongekommen – dank einer massiven Kampagne der Angstmacherei. Aber selbst die New York Times kommentierte, daß die in Schottland zum Ausdruck gekommene Wut gegen die Westminster-Politik – eine Politik zugunsten der Superreichen, imperiale Kriege, etc. – paradigmatisch ist für den wachsenden Zorn der Bevölkerung in den USA und der Eurozone über das eklatante Scheitern der Politik des Establishments.

In völligem Kontrast dazu bauten der chinesische Präsident Xi Jinping und der indische Premierminister Narendra Modi derweil weiter an einem alternativen Wirtschaftssystem und erklärten optimistisch, daß China und Indien zusammen 35 Prozent der Menschheit repräsentieren und gemeinsam das Drehbuch für die Zukunft schreiben.

In der Tat repräsentiert der dreitägige Staatsbesuch Xi Jinpings in Indien einen qualitativen Durchbruch im chinesisch-indischen Verhältnis. Nicht nur beabsichtigt China, in den nächsten fünf Jahren 20 Milliarden Dollar in den Ausbau von Schnellbahnsystemen, Modernisierung von Bahnhöfen, Industrieparks, Energieübertragungseinrichtungen und Autoteilproduktion in Indien zu investieren, es will im Gegenzug auch seinen Markt für indische Pharma- und Agrarprodukte und Filme öffnen. Andere Abkommen regeln die Zusammenarbeit bei der Entwicklung der Kernenergie, der friedlichen Nutzung der Raumfahrt, eine Städtepartnerschaft zwischen Shanghai und Mumbai sowie den kulturellen Austausch, und – besonders wichtig – es wurde vereinbart, noch offenstehende Grenzdispute schon sehr bald endgültig beizulegen.

Spätestens mit der Lösung dieser Frage droht den westlichen Medien und Denkfabriken der Stoff auszugehen, den sie für ihre ans Absurde grenzende Erbsenzählerei zu brauchen scheinen. Denn unfähig, den großen Entwurf hinter diesem Gipfel zu erkennen, überschlugen sich die westlichen Medien, nur die vermeintlichen geopolitischen Interessenkonflikte zwischen beiden Nationen zu beschreiben.

Für den Kammerdiener gibt es keinen Helden – aber nicht, weil dieser kein Held, sondern weil jener ein Kammerdiener ist, beschreibt Hegel diesen Geisteszustand in seiner Phänomenologie. Was diese Medienvertreter und Denkfabriken aus ihrer kleinkarierten, geopolitischen Perspektive nicht verstehen, ist die qualitative Veränderung, die sich seit über einem Jahr mit Xi Jinpings Politik der Neuen Seidenstraße und der Dynamik der BRICS-Staaten für eine genuine Entwicklungspolitik entwickelt hat. Immer mehr Staaten Asiens, Lateinamerikas und Afrikas widersetzen sich dem Korsett an Konditionalitäten von IWF und Weltbank und sind dabei, sich mit AIIB, NDB und einer Bank der SCO eigene Entwicklungsbanken zu schaffen, die ausschließlich der Finanzierung realwirtschaftlicher Projekte und nicht der Spekulation gewidmet sind.

Dahinter steht die Entschlossenheit, endlich die Transformation aus Unterentwicklung und Armut und die Verteidigung des Gemeinwohls der eigenen Bevölkerung in Angriff zu nehmen. Was sich die Schreiberlinge und sprechenden Köpfe nicht vorstellen können, ist die Tatsache, daß es Regierungen in der Gegenwart gibt, die wirklich das Interesse ihrer Nationen und der Menschheit vertreten – und nicht das der Banken, wie es in Europa und den USA üblich ist.

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Die wachsende Allianz von BRICS-Staaten, UNASUR-Staaten in Lateinamerika und ASEAN- und SCO-Mitgliedern in Asien, zu der auch solche Staaten wie Ägypten, Nikaragua und Südkorea gerechnet werden müssen, ist nicht nur durch die gemeinsame wirtschaftliche Entwicklungsperspektive zusammengeschweißt, sondern auch durch die Erkenntnis, daß die gegenwärtige Konfrontationsstrategie der US-Administration, Großbritanniens, der NATO und der EU gegenüber Rußland die unmittelbare Gefahr eines globalen thermonuklearen Krieges heraufbeschworen hat.

In einem außergewöhnlichen Artikel mit der Überschrift: „Da die Möglichkeit eines Dritten Weltkrieges existiert, muß China vorbereitet sein“, beschäftigt sich Professor Han Xudong von der Nationalen Verteidigungs-Universität der Volksbefreiungsarmee mit dieser Frage. Aus der Zuspitzung der ukrainischen Krise drohe sich eine direkte militärische Konfrontation zwischen den USA und Rußland zu entwickeln, die sich, sobald sie ausgebrochen sei, auf den ganzen Globus ausweiten und zu einem Weltkrieg eskalieren würde. Gegenwärtig sei die Welt bereits in die dritte Phase des Weltkrieges eingetreten, die den Weltraum, das Internet und die Weltmeere betreffe. China könne angesichts dieser Bedrohungen nicht in eine passive Position gedrängt werden, in der es angreifbar sei, es müsse also an einen Dritten Weltkrieg denken, wenn es darum geht, seine Militärkräfte, vor allem aber die See- und Luftstreitkräfte, zu entwickeln.

Im Prinzip genau das gleiche sagte auch Papst Franziskus anläßlich einer Gedenkfeier zum Ausbruch des 1. Weltkrieges. Es werde bereits ein „dritter Weltkrieg in Abschnitten“ ausgefochten, mit Verbrechen, Massakern, Zerstörungen. Und der deutsche Historiker Michael Stürmer diagnostizierte soeben in Die Welt, die Weltpolitik befinde sich seit der Ukraine-Krise im Experimentalmodus, bei dem bewährte Regeln der Krisenprävention und des Krisenmanagements über Bord geworfen und das leitende Personal unerfahren im Management des Ernstfalls sei. Der Kampfrhetorik fehle es an dem gebotenen Respekt vor den grenzenlosen Möglichkeiten der Zerstörung und Selbstzerstörung. Der Sicherheitsarchitektur, die aus dem Kalten Krieg entstanden sei und mit der deutschen Einheit erstaunlicherweise ohne Katastrophe geendet habe, sei eine Epoche der unerklärten kleinen Kriege ohne Anfang und Ende gefolgt, die sich von Indochina/Vietnam bis Afghanistan, Syrien und den Irak erstreckten. In der Ukraine-Krise agierten beide Seiten ohne Ziel und Exit, keiner wisse, wo das alles enden solle, Eskalation treibe Eskalation, die Vernunftgebote des langen nuklearen Friedens schienen vergessen.

Der russische Premierminister Dmitrij Medwedjew seinerseits brachte die Lage soeben auf einer Wirtschaftskonferenz in Sotschi auf den Punkt: „Im wesentlichen ist jetzt das ganze System der europäischen Sicherheit bedroht, ebenso wie grundsätzliche Werte, weitere Globalisierung und prinzipiell das gesamte Konzept friedlicher Entwicklung. Ich habe das Gefühl, daß der Westen vollkommen vergessen hat, daß Rußland seine eigenen nationalen Interessen hat… Die Geschichte zeigt deutlich, daß alle Versuche, durch solche Maßnahmen (Sanktionen) Druck auf Rußland auszuüben, vergeblich waren. Wir werden keine politische Erpressung hinnehmen. Wir sind das größte Land der Welt, eine Atommacht, in der 150 Millionen Menschen leben, ein Gebiet mit immensen Rohstoffen und ein riesiger Markt für Güter, Dienstleistungen und Investitionen. Der Westen hingegen tut so, als existiere Rußland überhaupt nicht auf der Weltkarte.“

Wenn vom chinesischen Militär bis zum Papst, der russischen Regierung und wachsenden Fraktionen in allen europäischen Nationen klar ist, daß der Dritte Weltkrieg eigentlich schon begonnen hat, daß alle Spielregeln der Kriegsvermeidung über Bord gegangen sind und eigentlich kein Sicherheitssystem mehr existiert – warum ziehen wir dann nicht augenblicklich die Notbremse und halten diesen Wahnsinnszug an, der mit vollem Tempo auf die Wand zurast, hinter der es nur noch das große Nichts gibt?

Wir brauchen sofort eine globale Notstandskonferenz, die nur ein einziges Thema haben muß: Wie muß eine globale inklusive Sicherheitsarchitektur beschaffen sein, die die Existenz und die Sicherheit aller Nationen auf diesem Planeten garantiert?

Es ist doch offensichtlich, daß die gegenwärtige strategische Krise mit dem gebrochenen Versprechen gegenüber Rußland zum Zeitpunkt des Zerfalls der Sowjetunion begonnen hat, nämlich, die Grenzen der NATO niemals bis an die Grenzen Rußlands auszuweiten. Wir müssen an diesem Punkt noch einmal ansetzen und an dem ebenso offensichtlichen Punkt, daß es 1991 keinen überzeugenden Grund gab, Rußland von allen Bündnissen auszuschließen und statt dessen die NATO und die EU immer weiter nach Osten auszuweiten, so daß die Absicht, Rußland einzukreisen und letztendlich verteidigungsunfähig zu machen, nicht mehr zu leugnen ist.

Präsident Xi Jinping hat wiederholt argumentiert, daß es keine Sicherheitsordnung geben könne, die Sicherheit nur für einige Staaten gewähre, während andere im Chaos und in Gefahr blieben, sondern nur eine inklusive Sicherheitsarchitektur den Weltfrieden garantieren könne. Genau eine solche globale, alle Staaten auf dieser Erde umfassende Sicherheitsarchitektur muß dringend auf die Tagesordnung, wenn wir uns nicht kollektiv umbringen wollen.

Die offensichtliche wirtschaftliche Grundlage für ein solches inklusives Sicherheitskonzept ist das Programm der Neuen Seidenstraße, an dessen Realisierung China arbeitet und dessen Geist sich die oben genannten Allianzen angeschlossen haben. Die chinesische Regierung hat wiederholt betont, daß diese Idee der Neuen Seidenstrasse ein offenes Konzept ist, dem sich jede Nation der Erde anschließen kann.

Die menschliche Gattung wird nur überleben, wenn wir die Lektionen der beiden Weltkriege des 20. Jahrhunderts lernen und aufhören, in geopolitischen Kategorien zu denken. Wir müssen diese imperiale, oligarchische Sichtweise durch ein neues Paradigma ersetzen, das die gemeinsamen Ziele der Menschheit zur alles bestimmenden Priorität machen. Dies ist im Übrigen die Sicht, die Nikolaus von Kues bereits im 15. Jahrhundert mit dem Denken derCoincidentia Oppositorum, dem In-Eins-Fallen der Gegensätze, vertreten hat, und von dem er gesagt hat, es sei die einzige Weise, wie Konkordanz im Makrokosmos erreicht werden könne.

Jetzt sind wir an dem Punkt angelangt, wo unser Überleben als Gattung davon abhängt, diese Ebene des Denkens zu erreichen.

Helga Zepp-LaRouche

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