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Jacques Cheminade : Menschliche Schöpfung – Quelle und Maßstab der Realwirtschaft

Jacques Cheminade

Präsident von Solidarité et Progrès, Paris, Frankreich. 


„Gott verlacht jene, die zwar die Folgen bedauern, deren Ursachen aber schätzen“

Bossuets Verwünschung aus dem 17. Jahrhundert läßt sich heute auf die Länder Westeuropas und Nordamerikas anwenden, wo sich die Menschen über Statistiken und bestimmte Erscheinungsformen – wachsende Arbeitslosigkeit, soziale Ungleichheit, Drogenkonsum und Geld- und Waffenhandel – aufregen, ohne zu beseitigen, was dem ganzen ein Ende setzen könnte. Oligarchien halten die Menschen faktisch in einem Zustand freiwilliger Unterwerfung und manipulieren die Umgebung, in der sie leben: Um das Bruttoinlandsprodukt der EU-Mitgliedstaaten zu vergrößern, verlangen die europäischen Buchhalter inzwischen, daß die Länder in ihre Statistiken die Einnahmen sämtlicher Handelsformen aufnehmen. Die magischen Kräfte des Marktes machen es möglich, daß beispielsweise Prostitution keine menschliche Tragödie und keine Last für die Gesellschaft, sondern ein Gewinn ist, der sich in der Bilanz niederschlägt. Mandevilles Grundsatz, daß die Summe privater Laster eine öffentliche Tugend ist, ist im westlichen Verhalten so vorherrschend, daß menschliche Arbeit zur „Anpassungsvariablen“ wird und Profite um den Preis der Ausbeutung menschlicher Arbeit gemacht werden: Das ist das oberste Gebot der Märkte.

Auf diese Weise ist unsere transatlantische Region beherrscht von einer inzestuösen Beziehung zwischen den Banken der Wall Street und der Londoner City und den großen Kartellen der Cyber-Industrie, die auch als „siebter Kontinent GAFA“ bezeichnet wird, wobei GAFA für den Karten- und Datendienst Google, den Internetanbieter Apple, das soziale Netz Facebook und den Kultur-Barkeeper Amazon steht.

Das System betreibt Glückspiel, ohne zu produzieren, und das tut es mit Lichtgeschwindigkeit. Der Hochfrequenzhandel findet außerhalb jeder rechtlichen Kontrolle auf „alternativen Plattformen“ der globalen Schattenbanken statt und hat die Institutionen der Nationalstaaten zu Schuldknechten und die Menschen zu Sklaven ihrer Gier gemacht, indem man nicht nur herausfindet, was wir tun, sondern auch vorherzusagen versucht, was wir tun werden, und das sogar schon, bevor wir es selbst wissen, dank der Vielzahl von Daten über uns, die ohne unsere Zustimmung im Web gesammelt werden.

Diese Raubtiergesellschaft ist eine moderne Version des Britischen Empires, mit den gleichen zerstörerischen Impulsen, wie sie aus dem Zusammenschluß der britischen Monarchie und der Ostindiengesellschaft erwuchsen. Sie trägt den Krieg in sich, so wie Regenwolken das Unwetter in sich tragen, denn ihr Raubtiercharakter macht sie unfähig, die Mittel zu produzieren, die für die zukünftigen Generationen benötigt werden. Auf diese Weise erzeugt sie für jeden Euro oder Dollar, der produziert wird, mindestens vier Euros an Schulden und eine Anhäufung von Kapitalforderungen ohne Beispiel in der Geschichte.

Wir kennen die offiziellen Zahlen über Finanzderivate, die nichts anderes sind als Wetten auf zukünftige Preise, unabhängig vom Besitz der zugrundeliegenden materiellen Güter: 800.000 Milliarden Dollar oder mehr als das Zehnfache der gesamten weltweiten Jahresproduktion. Die tatsächliche Summe aller dieser akkumulierten Geldforderungen kennt niemand genau, weil die Geschäfte zwischen den Finanzinstitutionen von Computern abgewickelt werden, die mit Geschwindigkeiten im Milliardstel Sekundenbereich arbeiten – und das sind zweifellos mehr als 2 Millionen Milliarden Dollar!

Wir haben es mit einem „finanziellen Irrenhaus“ im wahrsten Sinne des Wortes zu tun, aber der Wahnsinn ist der eines pathologischen Mörders. Es zerstört das menschliche Kapital, auf dem die gesamte Gesellschaft gründet. Länder wie das Vereinigte Königreich, die Vereinigten Staaten oder Deutschland, die relativ wenige Arbeitslose melden, verstecken diese durch statistische Manipulationen und organisierte Härten.

Unter diesen Umständen entsteht ein „Klima des Krieges“, wie es der Papst in Sarajevo zu recht angeprangert hat. Wir leben in einer „Wirtschaft, die tötet“, wie er bereits vor einigen Monaten schrieb. Der Wahnsinn der Finanzwelt ist mörderisch. Immer mehr Menschen, von China über die Vereinigten Staaten bis hin nach Rußland, vergleichen die gegenwärtige Lage mit der Kubakrise 1962, nur daß es diesmal die USA, Großbritannien und die NATO sind, die Truppen und Raketen an den Grenzen Rußlands aufgebaut haben und damit gegen alles verstoßen, was sie zur Zeit der deutschen Wiedervereinigung versprochen haben.

Zwei Faktoren machen die Lage, in der wir uns heute befinden, unendlich gefährlicher als 1962. Der erste dieser Faktoren ist die Tatsache, daß die Mehrheit der Bürger nicht mehr gegen den kommenden Krieg und gegen die Plünderung ihrer Existenzgrundlagen mobilisiert. Und da, wo sie mobilisieren, tun sie es, weil sie durch die Ausbeutung und die Ausgrenzung mit dem Rücken an die Wand stehen, wie in Griechenland oder in Spanien. Sie wehren sich gegen das, wogegen man sich wehren muß, aber sie haben kein Programm, um zu erreichen, was notwendig ist.

Wenn wir also wieder eine Welt mit realem Wachstum und gegenseitiger Entwicklung schaffen wollen, müssen wir die Schubkraft der BRICS-Staaten und ihrer Verbündeten durch einen Machtzuwachs und einen größeren Horizont erhöhen. Wir können nicht einfach sagen, daß wir auf den Zug der BRICS aufspringen und abwarten, bis sie uns zur Endstation mitnehmen! Das ist zwar schon besser, als auf dem Bahnsteig zu bleiben oder den Zug aufzuhalten, wie es die Oligarchien von uns wollen, aber das entspricht nicht unserer und ihrer Herausforderung.

Wir müssen das Beste von uns selbst beitragen, da es gilt, die wirtschaftliche Orientierung der gesamten Welt zu ändern. Es ist nicht dieses oder jenes Element des gegenwärtigen Systems, das uns in die Katastrophe führt, sondern die gesamte „Logik“ des Systems selbst. Wir müssen das System ändern. Das ist die Voraussetzung für einen zukünftigen Frieden, für eine harmonische gegenseitige Entwicklung auf der Grundlage des Win-Win-Prinzips, wie der chinesische Präsident Xi Jinping wiederholt betont hat.

Daher müssen wir verstehen, was eine Wirtschaft wirklich ist. Tatsächlich ist sie die Vorstellung eines wahrhaften Menschen, den wir in uns selbst wiederentdecken müssen. Menschen sind keine geopolitischen Tiere, die versuchen, auf Kosten anderer Menschen Territorien zu erobern oder Ressourcen an sich zu bringen, sondern sie definieren sich durch ihre Fähigkeit, Prinzipien des von ihnen bewohnten Universums zu entdecken und die Umwelt durch die Anwendung von Entdeckungen zu verändern, welche es ihnen und ihren Mitmenschen ermöglicht, ein besseres Leben zu führen und sich zu vermehren.

„Wirtschaft“ ist nicht, billig einkaufen und teuer verkaufen, um dadurch einen finanziellen Gewinn zu machen, sondern daß man beiderseitige Entwicklungsplattformen schafft, um durch die Anwendung neuer Technologien mit weniger Mitteln besser zu produzieren. Es bedeutet, die eigene Produktivität pro Kopf, pro Flächeneinheit und pro Masseneinheit, die in diesem Prozeß verwendet wird, zu steigern. Diese Plattformen enthalten auch die Mittel, um eine solche Dynamik zu garantieren: Die Humaninfrastruktur – Bildung, Gesundheit, Forschung und Entwicklung – und die physische Infrastruktur – Verkehr und Produktion.

Der amerikanische Staatsmann und Ökonom Lyndon LaRouche bezeichnet diese Fähigkeit des Menschen als das Bevölkerungsdichtepotential relativ zur geschaffenen technologischen und menschlichen Plattform.

Dieser Begriff des Potentials, der Kapazität pro einzelnen Menschen, ist von LaRouches Freunden in Rußland aufgegriffen worden. Der russische Wissenschaftler Pobisk Kusnezow schlug vor, die wirtschaftliche Einheit als Maß für die Anwendung und verifizierte Wirkung menschlicher Kreativität als „La“ – wie LaRouche – zu bezeichnen. Nun verstehen Sie, warum ich meiner Rede die Überschrift „Die menschliche Schöpfung – Quelle und Maß der Realwirtschaft“ gegeben habe.

Es ist wichtig zu betonen, daß die chinesische Führung mit ihrem Konzept „ein Gürtel, eine Straße“, der Neuen Seidenstraße zu Lande und zur See, das gleiche Menschenbild zum Ausdruck bringen. Soweit ich es verstehe, bedeutet das Konzept des „Shi“ ein zu entwickelndes Potential. Wir brauchen keinen vorher festgelegten, detaillierten Plan mehr, sondern betrachten die Lage wie eine auszubeutende Mine, deren Adern wir mit einer veränderbaren Idee in der Art und Weise ausbeuten werden, daß ich an dem Punkt, in dem meine Einsatz und Kampf beginnt, bereits dadurch gewonnen habe, daß ich die Voraussetzungen dafür geschaffen habe, den Feind dadurch zu überwinden, daß ich ihn zum Partner gewinne. Der indische Premierminister Narendra Modi hat dieses Prinzip voll und ganz verstanden, als er im vergangenen Juli am Schluß des BRICS-Gipfels in Fortaleza erklärte:

„Die BRICS ist als internationale Institution einzigartig… Sie vereint zum ersten Mal eine Gruppe von Nationen nicht auf der Grundlage vorhandenen Wohlstands oder gemeinsamer Identitäten, sondern des Zukunftspotentials. Schon die Idee von BRICS an sich ist also auf die Zukunft ausgerichtet. Deshalb glaube ich, daß sie den bestehenden internationalen Institutionen frische Perspektiven und Mechanismen hinzufügen kann.“

Dieses Wirtschaftskonzept ist das genaue Gegenteil der formalen Logik auf Grundlage der aristotelischen „Widerspruchsfreiheit“, derzufolge der Feind als Gegner vernichtet werden muß, während es für uns darum geht, einen Feind für unsere Sache zu gewinnen, indem wir die Debatte auf eine höhere Ebene heben. Wie Nikolaus von Kues in dieser Frage betonte, setzt die Schöpfung das „Zusammenfallen der Gegensätze“ voraus, was auf einer höheren Ebene der Vorstellungskraft erkennbar und beherrschbar macht, was auf der relativ niedrigeren Ebene als unverständlich und unbeherrschbar erscheint.

Konfuzius entwickelt einen Ansatz ähnlicher Natur mit seinem Konzept des „Ren“, d.h. daß man dem anderen den Vorrang gibt und ihm das Mandat des Himmels einräumt, indem man ihn bildet. Im Gegensatz zu dem heutigen malthusianischen Unsinn, wonach „die Geschichte der begrenzten Welt“ begonnen habe, schreibt Jean Bodin in seinen Sechs Büchern über die Republik in der Nachfolge von Kues: „Außer dem Menschen gibt es keinen Reichtum und keine Stärke“ – vorausgesetzt, der Anführer macht „aus Zwietracht Eintracht“. Darin liegt die Hoffnung auf Einheit in der Vielheit, die sich als Prinzip wie ein roter Faden durch die chinesische Zivilisation zieht.

Daher ist klar, daß wir Europäer und Amerikaner eine Menge mit den BRICS gemein haben und wir sogar etwas zu ihnen beisteuern können: Aus Frankreich die Herrschaft Heinrichs IV. mit Sully, Laffemas und Olivier de Serres, aus Deutschland die Aufklärung von Lessing und Mendelssohn und Friedrich Lists Konzept der Nationalökonomie, und aus den Vereinigten Staaten das Hamiltonische Konzept der politischen Ökonomie. Hieran zeigt sich am deutlichsten ein Verständnis für Wirtschaft und Gesellschaft, getragen von einem Vektor des wissenschaftlichen Fortschritts und nicht von einer Unterwerfung unter die Tradition.

In zwei der vier grundlegenden Berichte des „Amerikanischen Systems der politischen Ökonomie“ zeigt Hamilton, daß der durch eine Nationalbank organisierte staatliche Kredit das Fundament einer Wirtschaft ist, da er eine Art „Wette auf die Zukunft“ darstellt, auf die Möglichkeit zukünftiger Investitionen, mit denen die Mittel zur Rückzahlung der eingesetzten Mittel erzeugt werden. Die Zukunft der Vereinigten Staaten lag nach seinem Verständnis im „Manufakturwesen“, d.h. in der durch öffentliche Kredite unterstützten Industrie und nicht in der Landwirtschaft, wie Jefferson es verlangte, denn nur die Industrie könne die Qualität und Quantität menschlicher Arbeit steigern. Die Erhöhung der Flußdichte von Energie und Technologie, die diese „physischen“ Überschüsse liefert, ermöglicht noch größere Neuinvestitionen auf einem noch höheren Niveau menschlicher Schöpfungskraft.

In seinem Bericht über die Nationalbank hat Hamilton, zur großen Überraschung der übrigen Gründerväter, aufgezeigt, wie man Schulden in Geld verwandeln kann, was die Vergabe staatlicher Kredite ermöglichte. Die Nationalbank wurde zu dem Zweck geschaffen, Einlagen aus verschiedensten Einkünften aufzunehmen, darunter Forderungen aus Staatsanleihen, die auf diese Weise kapitalisiert und an Investoren verliehen werden konnten.

Auf diese Weise dienten die Schulden als Sicherheit, um Kredit in Form von Geld in Umlauf zu bringen und gleichzeitig zu vermeiden, daß die amerikanische Wirtschaft unter die Kontrolle ausländischer Interessen gelangte, insbesondere der Briten. Natürlich konnten diese Einlagen nicht gepfändet und die Schulden nicht in Anteile der Bank umgetauscht werden, wie es manche in Europa heute gerne tun würden, um die Spekulationsbanken zu retten. Hier geht es um die Realwirtschaft, um den Umgang mit Projekten, die Produktivität erzeugen, und nicht um finanzielle Spiele, um private Banken so weit zu vergrößern, daß sie „systemrelevant“ werden. Mit ihrer Größe könnten sie die Regierungen erpressen, um sie vor dem Bankrott zu bewahren und bei Schwierigkeiten auf Kosten der Bevölkerung Hilfe vom Staat zu verlangen.

Dieser Hinweis ist heute wichtig im Umgang mit den griechischen Staatsschulden. Nach den von Hamilton definierten Kriterien und denen des Schuldenerlasses für die Bundesrepublik Deutschland 1953 müssen wir noch zwischen rückzahlbaren, legitimen Schulden und solchen, die es nicht sind, trennen. Kaum 10% der von den Griechen aufgenommenen Schulden dienten dem Interesse der Bevölkerung und der Wirtschaft, der Rest diente ausschließlich Räubern im Inland und noch viel mehr ausländischen Finanzspekulanten, die heute zu Unrecht ihr „Pfund Fleisch“ verlangen. Wenn darüber überhaupt verhandelt werden muß, dann sollte dieser Punkt im Mittelpunkt stehen, und nicht der Aderlaß an der griechischen Bevölkerung und Wirtschaft durch die „Institutionen“ in Form von Austerität, die darauf hinausläuft, einen Körper auszubluten, den man krank gemacht hat.

Eine Plattform für Aufbruch und Entwicklung, für Großprojekte, öffentlichen Kredit, Energie- und Technologie-Flußdichte, Inspiration und Unterstützung. Charles de Gaulle sagte in Lille am 1. Oktober 1944 in einer Rede über das am Ende des Krieges:

„Es ist unsere Pflicht, vollen Gebrauch von dem zu machen, was sich auf dieser Erde befindet, Der einzige Weg, wie wir das tun können, ist durch das, was man als eine gelenkte Wirtschaft bezeichnet. Wir wollen, daß der Staat die wirtschaftliche Aktivität der gesamten Nation steuert… die geplante Wirtschaft dient dem Wohl aller, damit alle Franzosen und alle Französinnen ein besseres Leben haben.“

Schon zuvor hatte er am 1. April 1944 in Algier gesagt:

„Große Fragen der Menschheit können nicht durch Logik gelöst werden. Man braucht eine Atmosphäre dazu, die nur durch die Übereinkunft der Gesinnungen geschaffen werden kann.“

Man braucht dazu auch eine Menge Mut, der zum Glück ansteckend ist. Franklin Delano Roosevelt sagte am 31. Oktober 1936 im Madison Square Garden in New York über seine Gegner – die die gleichen waren wie unsere heute: „Sie sind sich einig in ihrem Haß auf mich, und ich bin froh über ihren Haß.“

Eine Richtung, eine Inspiration und eine Gesinnung – das war de Gaulles „Entspannung, Verständigung und Kooperation“ zwischen den Völkern. Das ist es, was Walentina Matwijenko, die Vorsitzende des Russischen Föderationsrates, heute als „eine bestimmte Form der Kooperation zwischen den fünf BRICS-Staaten, die eine gemeinsame Agenda verfolgen“, bezeichnet, darunter die „Verteidigung ihrer nationalen Souveränität, Schutz und Förderung ihrer nationalen Interessen auf Grundlage des Prinzips der Gleichrangigkeit, Nichteinmischung in ihre inneren Angelegenheiten und die Ablehnung einer unipolaren Welt“.

Das ist es, was China dazu veranlaßt hat, mit Indien und Rußland zu vereinbaren, Investitionen der AIIB auch in Japan und den Vereinigten Staaten zuzulassen, trotz historischer Streitigkeiten und feindseliger Maßnahmen dieser beiden Länder. Das ist es auch, was China veranlaßt hat, einen Interozeanischen Kanal in Nikaragua zu bauen, 50 Mrd. $ in Brasilien zu investieren und eine – ebenfalls interozeanische – Bahnstrecke zwischen Brasilien und Peru zu finanzieren. Und das ist es, was die russische Zentralbank dazu gebracht hat, ein neues Bankenclearingsystem ähnlich des westlichen SWIFT-Systems vorzuschlagen.

Betrachten wir für einen Moment die wirtschaftlichen Veränderungen der letzten 100 Jahre. China war das einzige Land, das 1919 den Versailler Vertrag nicht unterschrieben hat, weil ihm Land geraubt worden war. China wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nicht einmal zur Konferenz von San Francisco eingeladen, obwohl es mit großem Mut gegen Japan gekämpft hatte. Wenn wir uns vor Augen führen, was China weltweit erleiden mußte, dann können wir die Sympathie, die es heute für Griechenland und für Rußland empfindet, besser verstehen.

Was wir von der Europäischen Union heute Griechenland antun, ist das, was gestern China angetan wurde. Sind wir in der Lage, uns zu ändern? Können wir verstehen, daß das, was heute mit Griechenland geschieht, mit uns allen geschehen kann, wenn wir unsere Politik nicht ändern? Man hört in Deutschland Stimmen, die gefordert haben, Rußland wieder zur G-8 einzuladen. Das ist noch weit mehr in unserem eigenen Interesse als in dem von Rußland, denn Rußland ist mit der BRICS verbunden, d.h. mit der halben Menschheit. Sind wir, die Europäer, in der Lage, einen neuen Krieg zu vermeiden? Der Test wird sein, was wir für Griechenland tun können und damit faktisch für uns selbst.

Wirtschaft bedeutet, Bedingungen zu schaffen für einen „Willen des Zusammenlebens“, indem wir unsere kreativen Fähigkeiten vereinen und das Ganze größer als die Summe seiner Teile machen. Wenn sich heute am Himmel Osteuropas oder über dem Chinesischen Meer zwei Militärflugzeuge zu nahe kommen, kann alles außer Kontrolle geraten. Die Entvölkerungspolitik hat bereits begonnen. Und angesichts der Welle von Flüchtlingen ist das einzige, was sich unsere Länder einfallen lassen, die Schiffe zu bombardieren, die die Flüchtlinge transportieren, und eine neue koloniale Expedition zu starten. Sind wir so dumm, daß wir es hinnehmen, in einer Barbarei zu versinken, die für andere tödlich und für uns selbstmörderisch ist?

Wirtschaft bedeutet, wieder zu dem kreativen Guten in Aischylos‘ Prometheus zurückzufinden, der allen die Möglichkeit gab, dank einer größeren Beherrschung der Wissenschaften über alles bekannte hinaus sich zu entwickeln und zu vermehren und neue Lebenskraft zu finden, indem wir uns an unsere besten Leistungen erinnern. Wirtschaft bedeutet, im 21. Jahrhundert durch gegenseitige Entwicklung für den Frieden das zu tun, was wir im 20. Jahrhundert für den Krieg getan haben, d.h. wir müssen unsere Denkweise und unser Weltbild radikal, über Nacht verändern.

Eine neue Wirtschaft besteht aus „klugen Städten“ der Zukunft und digitaler Technologie, befreit von finanzieller Vorherrschaft. Anders als die Experten erwarten, werden keine Arbeitsplätze zerstört, sondern die Grundlage einer neuen Wirtschaft mit neuen Formen der Energieflußdichte wie der kontrollierten Kernfusion bilden. Ohne eine Lösung werden wir in die Vergangenheit zurückfallen. Nur, wenn wir das Vertrauen in unsere eigenen kreativen Fähigkeiten zurückgewinnen und den Zustand der Ausbeutung durch die oligarchischen Mächte der transatlantischen Zone bekämpfen, werden unsere Mitmenschen den Herausforderungen unserer Epoche gerecht werden. Die Erforschung und Besiedelung des Weltraums wird notwendigerweise eine fundamentale Rolle als eines der gemeinsamen Ziele der Menschheit spielen, um unserer irdischen Wiege zu entkommen.

Aber all das wird nicht durch Fügung oder mechanisch zustande kommen. Die Realität ist subjektiv. Wir müssen wieder den Mut Victor Hugos finden, der 1861 die Verwüstung des von Kaiser Qiang Lon und den Jesuiten geschaffenen Sommerpalastes, des Gartens des Goldenen Wassers und des Gartens der vollkommenen Klarheit verurteilte:

„Eines Tages sind zwei Banditen in den Sommerpalast eingedrungen. Der eine plünderte, der andere legte Feuer. Manchmal ist der Sieg ein Dieb, wie es scheint. Die Zerstörung des Sommerpalastes im großen Stil ging zu gleichen Teilen auf das Konto beider Sieger [England und Frankreich – d. Red.]. Verbunden damit ist Elgin, dessen Name die fatale Eigenschaft besitzt, daß man an den Parthenon denkt. Was man dem Parthenon angetan hatte, das hat auch dem Sommerpalast angetan, nur vollständiger und besser, sodaß nichts geblieben ist.“

Für diese Schandtat sind wir es China schuldig, mit ihm zusammen in die Zukunft einzutreten – nicht um zu zerstören, sondern um die Welt in der BRICS-Ära aufzubauen. Lassen Sie mich Ihnen trotzdem sagen, wie stolz ich darauf bin, daß Hugos Brief auf der offiziellen chinesischen Webseite und im Internet in Mandarin übersetzt ist.

Ich möchte nun mit der gleichen Wut, die Viktor Hugo inspirierte, über das sprechen, was wir heute den Griechen und den Flüchtlingen aus Afrika antun.

Aber es bleiben Gründe, optimistisch zu sein und zu hoffen. Erstens, weil es die BRICS sind, die jetzt den Ton im globalen Orchesters angeben, und es zeigt sich ein neues Streben nach politischer Veränderung in Europa, auch in solchen Ländern, deren Wirtschaft wie in Deutschland immer noch relativ robust ist, und auch in den Vereinigten Staaten mit unserer Bewegung und mit der Kandidatur O’Malleys, der sich gegen die Banditen der Wall Street gestellt hat und ein neues Glass-Steagall-Gesetz im Stile von Roosevelt fordert.

Wenn ich in diesen Saal sehe, dann sehe ich, daß wir hier Freunde und Kämpfer für diese Idee aus allen Teilen der Welt haben. Wir können also hoffen, daß die Seidenstraße bei uns ankommen wird, und daß wir sie in unserem Weltbild zu einem gemeinsamen Ziel der Menschheit machen können, indem wir unbekannte Wege beschreiten – in unserem Herzen wie in der wachsenden Beherrschung dessen, was sich in unserem Sonnensystem und in unserer Galaxis abspielt. Denn darin liegt, wie die folgenden Redner zeigen werden, die reale Wirtschaft unserer Zukunft.

Da ich mich bereits auf Victor Hugo berufen habe, wollen wir ihn noch etwas anderes fragen. Konfuzius lehrt uns, daß wir unsere Freunde necken und herausfordern sollen, damit sie sich über die Widersprüche einer gegebenen Situation erheben können. Es war ebenfalls im Juni, vor 130 Jahren, als er in unser Pantheon aufgenommen wurde. Hören wir, was er in Lux geschrieben hat:

Oh Vision der kommenden Zeit!

Wenn der Mensch dem weglosen Schlamm entkommen ist…

Am Horizont glüht die Finsternis,

die heutige Sonne nur noch ein Funke,

Aber bald wird entfaltet

Das glorreiche Banner von uns allen,

die Flagge, die steigt, um niemals zu fallen,

die Universelle Republik der Welt!

Simone Weil, unsere große platonische Philosophin, sagte einst, daß in aller Arbeit ein Stück Poesie steckt, weil wahre menschliche Arbeit immer kreativ ist. Hier ist die Arbeit, die vor uns liegt. Ich habe jemandem, der mich gefragt hat, warum Helga Zepp-LaRouche und der chinesische Präsident die seiner Meinung nach etwas seltsame Bezeichnung „Neue Seidenstraße“ gewählt haben, geantwortet: Das war für sie ganz natürlich, denn die Wirtschaft beruht auf kreativer menschlicher Arbeit, und diese Arbeit ist voller Poesie. Und so wollen wir mit der Welt verfahren, die darüber ihr Urteil fällt.

 

 

 

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