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Kyrill Benediktow: Die Verteidigung des Planeten vor Bedrohungen durch Asteroiden und Kometen — Eine Sicht aus Rußland

Kyrill Benediktow ist Autor und Mitglied der Redaktionsleitung der Internetseite „Terra America“. Für die Konferenz des Schiller-Instituts am 13.-14. verfaßte er das folgende Papier, das aus Zeitgründen nur gekürzt vorgetragen werden konnte. Es ist hier ergänzt durch die Bemerkungen, mit denen er seinen Vortrag einleitete (Original Russisch).

Im Wortlaut

Zunächst einmal möchte ich dem Schiller-Institut und Lyndon LaRouche und Helga Zepp-LaRouche persönlich danken, daß sie mich zu dieser namhaften Konferenz eingeladen haben. Meine vorbereiteten Bemerkungen beginnen mit einem historischen Überblick, aber gerade gestern gab es einige Ereignisse, die meinen Plan verändert haben. Ich möchte Ihnen daher zunächst einmal sagen, was gestern geschehen ist.

Gestern war der 12. April, der in Rußland und weltweit als Tag der Raumfahrt begangen wird, denn an diesem Tag [1961] machte der russische Kosmonaut Jurij Gagarin als erster Mensch einen Flug in den Weltraum. Und gestern wurde bekannt, daß der russische Vizepremierminister Dmitrij Rogosin einen Brief an Präsident Putin geschickt hat, in dem er vorschlägt, die Abwehr von Bedrohungen aus dem Weltraum zum Hauptthema des bevorstehenden Gipfeltreffens der G-20 zu machen. [Applaus.] Vielen Dank.

Zweitens kündigte Präsident Putin an, daß die Finanzmittel für das russische Weltraumprogramm bis 2020 auf 1,6 Billionen Rubel [etwa 40 Mrd. €] erhöht werden. Das ist eine recht erhebliche Summe, im wesentlichen vergleichbar mit dem Budget der NASA.

Lassen Sie mich nach dieser kurzen Einleitung den Gegenstand charakterisieren, den Rogosin auf die Tagesordnung der G-20 zu setzen vorgeschlagen hat. Es ist das Problem der Bedrohung durch Kometen und Asteroiden. Schon seit recht langer Zeit ist sich die Menschheit sehr bewußt über die Existenz einer Bedrohung durch Kometen. Asteroiden waren natürlich noch nicht auf der Bildfläche. Die Menschen dachten an die Kometen, weil diese wegen des Schweifes eine ziemlich erschreckende Erscheinung machen.

Der erste periodische Komet, den die Menschheit kannte, ist der berühmte Halleysche Komet. Seine Beobachtung ist schon in babylonischen Tagebüchern und in chinesischen Chroniken aus der Ära der Kriegführenden Staaten [203-221 v. Chr.] beschrieben. Der feurige „Besenstern“ galt schon damals als Vorbote bevorstehenden Unheils. Die römischen Sibyllinischen Bücher sagen, der Komet sei ein „Vorzeichen von Schwert, Hunger und Tod, des Sturzes von Fürsten und Großen“. Das Auftreten des Kometen im 5. Jh. traf zusammen mit der Invasion des Hunnen Attila und im 11. Jh. mit der Eroberung Englands durch die Normannen. Dieses Ereignis ist im berühmten Teppich von Bayeux abgebildet (Abbildung 1). Russische Chroniken des 13. Jahrhunderts sprechen von einem schrecklichen Stern, dessen Strahlen nach Osten wiesen – der Richtung, aus der die mongolischen Horden schon bald darauf in Rußland einfielen.

 

Figure 1
The Bayeux Tapestry

Aber erst 1910 löste die Annäherung des Halleyschen Kometen eine Welle der Panik aus, welche die gesamte zivilisierte Welt erfaßte. Ironischerweise war das ein direktes Resultat wissenschaftlicher Leistungen: Erstmals wurde eine Spektralanalyse des Kometenschweifs durchgeführt, die das Vorhandensein von giftigem Zyangas und von Kohlenmonoxid zeigte. Es war bekannt, daß die Erde am 18. Mai den Schweif des Kometen durchstreifen würde, und das löste eine „Anti-Kometen-Hysterie“ aus, in der die Menschen das Ende der Welt erwarteten. In dieser Panik war eine große Nachfrage nach „Anti-Kometen-Pillen“ und „Anti-Kometen-Schirmen“ (Abbildung 2). Der berühmte Arthur Conan Doyle schrieb, inspiriert von diesem Wahnsinn, einen seiner besten Science-Fiction-Romane, Das Ende der Welt, in dem die Erde durch einen „Gürtel giftigen Äthers“ hindurchfliegt und die gesamte Menschheit für einige Tage in einen Tiefschlaf versetzt wird.

Heute ist offensichtlich, daß die Ängste von 1910 unbegründet waren. Die Konzentration schädlicher Substanzen im Schweif von Kometen ist so gering, daß sie keinerlei Wirkung auf die Erdatmosphäre haben. Aber etwa zur gleichen Zeit war eine schreckliche Gefahr nahe. Weder die Wissenschaftler noch die Science-Fiction-Autoren erkannten sie, obwohl sie ihre Gegenwart lautstark angekündigt hatte.

Figure 2 

Zwei Jahre vor der Panik, die das Erscheinen des Halleyschen Kometen auslöste, 1908, explodierte etwas mitten in Sibirien, in der Nähe der Steinigen Tunguska. Astronomen beschrieben es vorsichtig als einen Himmelskörper mit einem kometenhaften Ursprung. Die Gewalt der Explosion war etwa 40-50 Megatonnen, und ihre Wirkung war sogar in Westeuropa sichtbar, wo mehrere Nächte lang ein geisterhaftes Leuchten am Himmel zu sehen war. Der brillante russische Wissenschaftler Wladimir Iwanowitsch Wernadskij, dessen 150. Geburtstag wir in diesem Jahr feiern, bezeichnete das „Tunguska-Wunder“ recht präzise als einen „Klumpen kosmischen Staubes“. (Abbildung 3)From Tunguska to Chelyabinsk: 1908-2013

Figure 3 

Aber schon dieser „Staubklumpen“ machte, als er auf die Erde prallte, eine Waldfläche von 2000 Quadratkilometern dem Erdboden gleich, und es war großes Glück, daß es keine Todesopfer gab. Wenn das Objekt, das über der Tunguska explodierte, vier Stunden früher gekommen wäre, dann hätte es aufgrund der Rotation der Erde die Stadt Wyborg völlig zerstört und die wunderschönen Paläste von St. Petersburg in Ruinen verwandelt. Das war eine ominöse Warnung. Aber weil die Katastrophe eines der am wenigsten bewohnten Gebiete des Planeten traf und kein dichtbesiedeltes Gebiet in Europa oder Amerika, hat die Menschheit sie einfach ignoriert.

Seither steht die Erde weiter unter dem „Beschuß“ aus dem Weltraum. Bemerkenswert ist vor allem das „brasilianische Tunguska“ vom 3. August 1930, als ein Himmelskörper in den Regenwald im Grenzgebiet zwischen Brasilien, Peru und Kolumbien raste und Brände auslöste, die mehrere Tage wüteten, sodaß der Dschungel auf mehreren Hundert Quadratkilometern entvölkert wurde, sowie der Sichote-Alin-Meteorit 1947, dessen Fragmente, die zusammen bis zu 80 Tonnen wogen, in einem Meteoritenschauer im Fernen Osten der Sowjetunion niedergingen.

Doch während diese Ereignisse dünnbesiedelte Gebiete trafen, hätte ein Asteroid, der 1972 beinahe über den Vereinigten Staaten explodiert wäre, eine schwere Katastrophe verursachen können. Mit einem Durchmesser von 80 Metern trat er über dem US-Bundesstaat Utah mit einer Geschwindigkeit von etwa 15 km/s in die Erdatmosphäre ein. Hätte er die Erdoberfläche erreicht, wäre die Explosion mit der von Tunguska vergleichbar gewesen, aber statt der 2000 Quadratkilometer, die beim Wunder von Tunguska zerstört wurden, wäre diesmal das gleiche inmitten eines hochtechnisierten und dicht besiedelten Landes geschehen. Zum Glück war die Flugbahn des Asteroiden sehr flach, und nachdem er etwa 1500 km über die Erde geflogen war, trat er über Kanada wieder aus der Erdatmosphäre aus und verlor sich wieder in der Weite des Weltalls.

Das dramatischste Ereignis war der jüngste Zwischenfall von Tscheljabinsk (Abbildung 4), als bei der Explosion eines Meteoriten über Tscheljabinsk mindestens 1613 Menschen verletzt wurden, die meisten von ihnen mit leichten Verletzungen und Schnittwunden. Der Meteorit war relativ klein – rund 17 m im Durchmesser und mit einem Gewicht von etwa 10.000 t. (Abbildung 5).

Figure 4 
Figure 5 

Es ist bemerkenswert, daß die Zahl der Himmelskörper, die auf die Erde stürzten, in der Woche vom 11.-18. Februar 2013 dramatisch – und tatsächlich ungewöhnlich – angewachsen ist. Man beobachtete Boliden am Himmel über Rußland, Kasachstan, Japan, Australien, Kuba, Südafrika, Marokko, Deutschland, der Schweiz, Italien, den Niederlanden, Belgien, Großbritannien und Lettland. Man sah auch außergewöhnlich silbrige Wolken, so ähnlich, wie man es nach dem Eintreffen des Tunguska-Meteoriten beobachtete. Vielleicht flog die Erde auf ihrer Umlaufbahn zu der Zeit durch einen bisher unbekannten Meteorschwarm.

Eine sehr wichtige Tatsache ist hier, daß die Astronomen, die den erdnahen Raum beobachten, bis dahin von keinem solchen Meteorschwarm wußten. Es wurde die Vermutung geäußert, daß es mit dem Asteroiden 2012-DA-14 zusammenhängen könnte, der die Erde am 15. Februar in einer Entfernung von 28.000 km passierte, aber die Flugbahnen des Asteroiden und des Boliden vom Ural sind völlig verschieden. So wurde im Februar dieses Jahres die Fähigkeit der modernen Wissenschaft der Erde, Bedrohungen kosmischen Ursprungs frühzeitig auszumachen, auf die Probe gestellt – und das Ergebnis erwies sich leider als völlig unbefriedigend.

Ein bisher weitgehend ignoriertes Problem

Überraschenderweise wurde die Bedrohung aus dem Weltraum, die schon lange vor dem Absturz des Tschebarkul-Meteoriten ((Der Tschebarkul-See in der Region Tscheljabinsk wurde als Epizentrum des Meteoriteneinschlags identifiziert.)) erkennbar war, lange Zeit nicht ernst genommen. Tatsächlich interessierten sich nur die Regisseure von Katastrophenfilmen dafür, und die Politiker und die meisten Wissenschaftler sahen darin nichts, womit sie sich beschäftigen müßten.

Es ist möglich – obwohl es unwahrscheinlich ist, daß jemand das je beweisen wird – daß es recht irdische, politische Gründe für diesen Zustand gab. Beispielsweise würde es logisch erscheinen, daß die Entwicklung der Strategischen Verteidigungsinitiative, wie sie unter der Präsidentschaft von Ronald Reagan von den Vereinigten Staaten vorgeschlagen wurde, unweigerlich zur Schaffung wenigstens eines Frühwarnsystems vor Bedrohungen aus dem Weltraum, die die Erdbahn kreuzen, geführt hätte. Aber dazu kam es natürlich nicht. Nachdem der Kalte Krieg beendet war und die Vereinigten Staaten ihren wichtigsten strategischen Gegner verloren hatten – einen Gegner, der die Entwicklung der Militär- und Luft- und Raumfahrtindustrie der USA angespornt hatte – zog man es vor, die SDI zu vergessen. Der Preis dieses Vergessens war, daß die meisten technisch fortgeschrittenen Länder auf der Erde völlig unvorbereitet waren, um die Probleme im Zusammenhang mit der Bedrohung durch Asteroiden und Kometen zu lösen.

Es gibt etwa zehn Projekte verschiedener Länder und Organisationen, die 1311 möglicherweise gefährlicher Asteroiden gefunden haben. Diese Berechnung beruht auf Beobachtungen boden- und weltraumgestützter Observatorien wie z.B. der NASA-Sonde WISE (Wide-field Infrared Survey Explorer).

Obwohl Rußland schon aufgrund seines riesigen Territoriums ein vitales Interesse an Technologien hat, mit denen es Bedrohungen durch Asteroiden und Kometen verhindern oder abwehren kann, stehen hier die westlichen Länder an erster Stelle. Aber auch in Rußland gab und gibt es Gruppen und Organisationen, die an Technologien zur Vorwarnung und möglichen Strategien zum Schutz des Planeten arbeiten. Zu diesen Organisationen gehören die Expertengruppe der Russischen Akademie der Wissenschaften (RAW) gegen Bedrohungen aus dem Weltraum, die dem Astronomischen Institut der RAW angehört und derzeit dem Direktor des Instituts, Boris Schustow unterstellt ist, sowie eine Reihe von Unternehmen der Luft- und Raumfahrtindustrie, vor allem dem Forschungs- und Produktionsverband S.A. Lawotschkin. Die Arbeitsgruppen Aegis, AKG (Asteroiden- und Kometengefahr) und Apophis haben Verträge mit dem Weltraumrat der RAW und [der russischen Weltraumbehörde] Roskosmos. Die folgenden Informationen beruhen zum größten Teil auf Material, das von diesen Organisationen stammt.

Mögliche Wege zur Abwehr der Gefahren

In der gesamten Geschichte der Beobachtungen haben Wissenschaftler erst ein einziges Mal eine Kollision mit einem Himmelskörper vorhergesagt – das war der Asteroid 2008-TC-3, der am 6. Oktober 2008 entdeckt wurde und innerhalb von 20 Stunden, am frühen Morgen des 7. Oktobers, in einer Höhe von 37 km genau am vorhergesagten Ort und Zeitpunkt explodierte: über der Wüste im Norden des Sudan, unweit der ägyptischen Grenze. Die Entdeckung wurde mit Hilfe des 1,5-m-Teleskops Catalina Sky Survey gemacht. Allerdings sind sich alle Experten einig, daß es unmöglich gewesen wäre, in so kurzer Zeit einen Asteroiden zu zerstören oder seine Bahn zu ändern, selbst wenn er genau auf New York gestürzt wäre. Und am 2. März 2009 flog dann ein Brocken mit einem Durchmesser von 50 m in einer Entfernung von lediglich 66.000 km an der Erde vorbei: der Asteroid 2009-DD-45. Wäre es zu einem Zusammenprall mit der Erde gekommen, dann wäre die Katastrophe um ein Vielfaches schlimmer gewesen als der Zwischenfall von Tscheljabinsk. Dieser Asteroid wurde erst am 28. Februar, also drei Tage vor dem Vorbeiflug gesichtet, und zwar nicht von einem nationalen Observatorium, sondern von einem Amateurastronomen.

Das Problem, Bedrohungen durch Kometen und Asteroiden abzuwehren, hat offensichtlich zwei Komponenten: a) müssen die Mittel zur Überwachung verbessert werden, um (wenigstens in der Theorie) die frühzeitige Entdeckung der gefährlichsten Himmelskörper zu ermöglichen, und b) müssen die Mittel zur Verteidigung des Planeten geschaffen werden.

Figure 6 

Die erste Aufgabe ist durchaus lösbar für größere Himmelskörper wie den Asteroiden Apophis, der nach den Berechnungen 2029 und 2036 der Erde gefährlich nahe begegnen wird (siehe Abbildung 6). Aber selbst im Fall von Apophis kann man nicht absolut sicher sein, daß sich seine Bahn nicht infolge bisher nicht berücksichtigter Faktoren verändern könnte und er keine Katastrophe von planetarem Ausmaß auslösen wird.

Und es wäre zu optimistisch, anzunehmen, daß nur Apophis eine Bedrohung für unseren Planeten darstellt. Die Gesamtzahl der bisher noch nicht entdeckten Objekte mit einem Durchmesser von mehr als einem Kilometer wird von russischen Wissenschaftlern auf „weniger als 40“ oder weniger als 20% der Gesamtzahl potentiell gefährlicher Himmelskörper eingeschätzt, die im Sonnensystem „wohnen“, aber der Menschheit noch nicht bekannt sind. Nach Angaben von Direktor Boris Schustow vom Institut für Astronomie der RAW liegt die Gesamtzahl der potentiell für die Erde bedrohlichen Objekte zwischen 200.000 und 300.000, und nur 2% von ihnen wurden bisher von Astronomen identifiziert (Abbildung 7).

Figure 7 

Um diese „verlorenen“ Objekte auch nur zu entdecken, müssen wir die Effizienz der derzeit verfügbaren Frühwarnsysteme deutlich steigern. Zunächst einmal müssen wir ein einheitliches, planetares Netzwerk schaffen, um Bedrohungen durch Asteroiden und Kometen zu entdecken und vorherzusagen. An diesem Netzwerk sollten alle bereits existierenden Zentren beteiligt sein – das Minor Planet Center (von der NASA finanziert und der Internationalen Astronomischen Union unterstellt), das Jet Propulsion Laboratory (USA), das (von der ESA finanzierte) Laboratorium der Universität Pisa -, aber auch neue, mit der größtmöglichen geographischen Reichweite. Es ist absolut notwendig, auch die Elemente eines solchen Netzwerks auf der südlichen Hemisphäre zu schaffen.

Was Rußland angeht, sollten die Arbeiten, die schon jetzt in den verschiedenen Instituten und Forschungseinrichtungen durchgeführt werden, systematisch organisiert werden; es muß eine zentrale Koordinationsstelle geschaffen werden, um die Daten zu sammeln und zu verarbeiten. Dieses Zentrum sollte von Anfang an als Knotenpunkt des globalen (supranationalen) Netzwerks dienen.

Natürlich können auch Satellitenteleskope, wie sie von der NASA und der ESA gestartet wurden, äußerst nützlich sein. Aber genauso wie beim Aufbau eines Systems zur Verteidigung des Planeten sollte man klar verstehen, daß solche Anlagen nur wirksam sein werden, wenn sie Komponenten einer globalen, planetaren Strategie sind und nicht nur isolierte Projekte. Am 12. März dieses Jahres identifizierte Boris Schustow in einer Rede vor dem Föderationsrat der Russischen Föderation das wichtigste Problem der russischen Astronomie: den Mangel an Geldmitteln. Es wären mindestens 58 Mrd. Rubel (rund 1,5 Mrd.€) notwendig, um ein umfassendes Programm zum Schutz vor der Bedrohung durch Asteroiden und Kometen zu schaffen, sagte er. Und wir werden sehen, daß diese Zahlen ziemlich vergleichbar sind mit den Kosten einer ehrgeizigen Mission der NASA. Für die russische Wissenschaft ist dies jedoch eine extrem große Summe. Aber das Ereignis von Tscheljabinsk könnte hier Positives bewirken.

Höchst bedauerlich ist, daß bisher alle Projekte im Bereich der Weltraumsicherheit nur als Teil einer „passiven“ Strategie zu betrachten sind, die Beobachtungen und Berechnungen dieser gefährlichen Objekte anstellt. Das einzige mir bekannte Beispiel, wo der Mensch einen Himmelskörper beeinflußt hat, ist die Bombardierung des Kerns des Kometen Tempel-1 durch das Deep-Impact-Experiment der NASA im Sommer 2005. Russische Experten schließen nicht aus, daß Resultate dieses Experimentes, bei dem der Komet und Möglichkeiten, ihn abzufangen, studiert wurden, zur Entwicklung neuer Waffentypen genutzt werden könnten. Man könnte die Erfahrung mit dem Abfangen des Kometenkerns bei einer Geschwindigkeit von rund 10 km/s dazu verwenden, Raketenabwehrsysteme zu entwickeln. Möglicherweise wurden auch Modelle für Hypergeschwindigkeitsschläge getestet, die notwendig sind, um die Wirksamkeit neuer kinetischer Waffen, der sog, „Gottespfeile“, zu erproben. Doch auch wenn dem so sein sollte, gibt es immer noch keine einzige bewilligte Mission, welche die Entwicklung eines „Gegenschlags“ gegen einen Asteroiden einschließt.

Die Apophis-Mission, die vom Lawotschkin-Büro entwickelt wird, hat bisher noch keinen klaren Zeitplan (abgesehen natürlich vom ungefähren Zeitpunkt der Annäherung des Asteroiden an die Erde).Vor zehn Tagen sagte der Leiter von Roskosmos, Wladimir Popowkin, die NASA habe Rußland ein Gemeinschaftsprojekt vorgeschlagen, einen kleinen (500 t schweren) Asteroiden einzufangen und in eine Mondumlaufbahn zu schaffen. Die Idee ist dabei, dieses Objekt irgendwo im Weltraum einzufangen und mit Hilfe der Traktor-Technik in eine Mondumlaufbahn zu ziehen, wo er dann mit Hilfe von Robotern oder sogar von einer bemannten Expedition untersucht werden kann.

Aber soweit aus einem Artikel in Aviation Week hervorgeht, ist dies kein bereits bewilligtes Projekt, sondern nur eine Initiative, für welche die NASA zusätzliche 100 Mio.$ an Geldern beantragen will. Das vom Keck Institute for Space Studies entwickelte Projekt sieht vor, den Asteroiden mit einem speziellen „Sack“ einzufangen und dann in eine elliptische Umlaufbahn um den Mond oder an einen der Lagrange-Punkte [wo sich die Gravitation gegenseitig aufhebt] im Erde-Mond-System zu schleppen. Für dieses Projekt ergäben sich Kosten von mindestens 2,65 Mrd.$. Technisch könnte eine solche Einfangaktion etwa so aussehen, wie es in Abbildung 8 gezeigt wird.

Figure 8 

Die Möglichkeit von Gegenmaßnahmen gegen eventuell gefährliche Weltraumobjekte beruht streng genommen auf zwei grundlegenden Strategien: Ablenkung und Zerstörung. Eine Ablenkung ist natürlich vorzuziehen, erstens, weil man die Wirkungen genauer berechnen kann, und zweitens, weil keine irreversiblen Maßnahmen getroffen werden.

Die Ablenkung könnte entweder weich (durch Traktoren oder Segel) oder hart (durch gezielte Explosionen, Minen, kinetische Einwirkungen) erfolgen. Als Zerstörungsmittel kann sehr starke, auch nukleare Militärtechnik dienen. Dies stellt beträchtliche Anforderungen an ein System zum Schutz des Planeten, weil der Einsatz von Kernwaffen im Weltraum internationale Spannungen erhöhen und zusätzliche Herausforderungen für die Sicherheit des Planeten schaffen könnte. Daher werden wir ein supranationales Projekt unter der Leitung der Vereinten Nationen unternehmen müssen. Genau das ist es, was der stellv. russische Premierminister Dmitrij Rogosin, der damals noch Rußlands Botschafter bei der NATO war, mehrmals gesagt hat, um die russische Initiative für ein internationales Projekt für den globalen Schutz des Planeten vor Raketen und Asteroiden zu begründen. ((Siehe „Die strategische Verteidigung der Menschheit“, Neue Solidarität 51-52/2011.))

Rogosin schlug vor, ein zivil-militärisches System zur Verteidigung der Erde sowohl gegen militärische wie gegen natürliche Bedrohungen aus dem Weltraum zu schaffen, etwa im Fall einer gefährlichen Annäherung von Kometen, Asteroiden oder anderer Himmelskörper. Rogosin betonte, die Idee eines solchen Großprojektes unter der Leitung der UN biete Rußland neben anderem auch die Möglichkeit, bei der Stationierung eines globalen Raketenabwehrsystems einschließlich des europäischen Teiles den USA die strategische Initiative abzunehmen. Es werde auch ermöglichen, die Entscheidung über ein wirklich einheitliches und gemeinsames europäisches Raketenabwehrsystem in ein großes ziviles Projekt zur Erforschung des Weltraums „einzupacken“, in dem Rußland seine eigene, besondere wissenschaftliche, praktische und industrielle Rolle einnimmt. Rußland und die Vereinigten Staaten könnten die noble Mission übernehmen, den Planeten zu retten. Im Entwurf für die Initiative heißt es:

„Dieses humanitäre Projekt zur Rettung der Zivilisation rückt die militärische Komponente in den Hintergrund und stellt die Rolle der UN, die sein ,politischer Sponsor’ werden müßte, in ein anderes Licht. Die planetare Verteidigung der Erde sollte zu einem wichtigen Impuls für die internationale Forschung und die militärisch-industrielle Zusammenarbeit zwischen den Ländern des Westens und den BRICS-Staaten ((Die BRICS-Staaten sind Brasilien, Rußland, Indien, China und Südafrika.)) werden, mit einer führenden Rolle für Rußland.

Diejenigen, die sich dafür entschieden, eine Beteiligung an einem solchen Projekt öffentlich abzulehnen, würden Verachtung in den Augen der Welt riskieren, sie könnten als kurzsichtige Reaktionäre wahrgenommen werden oder sogar noch schlimmer, als potentielle Aggressoren, denen die Zukunft der Zivilisation egal ist und die egoistisch das nationale Ziel der Vorherrschaft im äußeren Weltraum anstreben.“

Angesichts der Zunahme des politischen Gewichts und der Autorität Rogosins sowie seines starken Rückhalts im den militärisch-industriellen Komplex Rußlands besteht Grund zu der Hoffnung, daß ein solches System in den kommenden Jahren eine Priorität des russischen Weltraumprogramms sein wird.

Man sollte beachten, daß Rußland bei der Schaffung eines globalen Systems zum Schutz des Planeten definitiv etwas anzubieten hat. Ich beziehe mich hier vor allem auf das System Zitadelle, das bei Lawotschkin entwickelt wurde (Abbildung 9). Dieses System wurde „auf dem Papier“ schon vor mehr als einem Dutzend Jahren ausgearbeitet; man nahm an, daß man nicht mehr als 7-8 Jahre benötigen würde, um die Hardware zu schaffen. Aber die politische Entscheidung für die Realisierung des Planetenschutzsystems (PSS) Zitadelle wurde damals nicht getroffen, weil es eine wirksame Zusammenarbeit verschiedener Länder und Weltraumbehörden vorausgesetzt hätte.

Figure 9
Schematic of the Citadel Planetary Defense System

Das PSS Zitadelle ist ein komplexes, vielschichtiges System, das jedoch aus relativ einfachen Grundelementen besteht. Hinzu kommt, daß alle seine wichtigen Elemente (oder deren Prototypen) schon in der Sowjetunion entwickelt wurden. Dazu gehören viele Raketentypen und Weltraumtechnik, Kernwaffen, Geräte zur Kommunikation, Navigation und Steuerung, etc. Jetzt haben wir eine einzigartige Gelegenheit, diese Mittel, von denen viele für militärische Zwecke entwickelt wurden, nicht zur Zerstörung zu nutzen, sondern zum Schutz der Menschheit vor gefährlichen Himmelskörpern.

Um eine Kollision von gefährlichen Himmelskörpern mit der Erde zu verhindern, sieht der Plan vor, sie auf der Grundlage der Infrastruktur für Weltraumflüge (Weltraumbahnhöfe, Steuerungsmittel etc.) abzufangen. Es werden auch spezielle Aufklärungssatelliten und Abfangvehikel eingesetzt, die in der Lage sind, auf gefährliche Himmelskörper einzuwirken.

Aufklärungs-Raumfahrzeuge sind kleine Apparate wie z.B. die amerikanische Clementine, die auf der Grundlage der SDI-Technologien geschaffen wurden. Das geringe Gewicht dieser Aufklärungsfahrzeuge wird es ermöglichen, sie auf sehr hohe Geschwindigkeiten zu beschleunigen und auf diese Weise einen gefährlichen Himmelskörper schneller zu erreichen als mit einer schweren Abfangrakete. Während des Fluges zum Objekt stellen sie dessen Eigenschaften fest und übermitteln diese Daten an die Bodenstation, um den Abfangplan und seine Wirkung auf den gefährlichen Himmelskörper zu verfeinern. Danach werden die nötigen Anweisungen an das Abfangvehikel übermittelt, das dann näher an das Objekt manövriert wird, um auf es einzuwirken und es aus seiner auf die Erde gerichtete Flugbahn abzulenken oder zu zerstören. Dabei wird man einen kinetischen Aufschlag oder auch eine Kernexplosion gegen das gefährliche Objekt einsetzen.

Es wird empfohlen, die operationelle Reaktions-Staffel Zitadelle-1 zur Grundlage des Planetenschutzsystems zu machen, als Schutz vor Objekten mit weniger als 100 m Durchmessern – dem Typ, der am häufigsten mit der Erde kollidiert. Aufgrund ihrer geringen Größe wird deren Entdeckung möglicherweise erst Monate oder Tage vor der Kollision erfolgen. Das bedeutet einen sehr engen Zeitrahmen, um die Abfangvehikel und vor allem deren Trägersysteme startklar zu machen. Derzeit wird diese Anforderung von der russisch-ukrainischen Trägerrakete Dnepr (einer umgebauten Version der Interkontinentalrakete RS-20, die von der NATO als SS-18 bezeichnet wird) und der Startrakete Zenit erfüllt. Die kurze Vorbereitungszeit für einen Start – bei Dnepr nur wenige Minuten, bei Zenit anderthalb Stunden – macht sie zu den einzigen Fahrzeugen weltweit, die in der operationellen Reaktions-Staffel einsetzbar sind.

Diese Trägerraketen haben eine recht große Traglast: Wenn eine Abfangrakete mit Zenit gestartet wird, kann die Masse eines nuklearen Sprengkopfs, der zum Asteroiden gebracht wird, etwa 1500 kg betragen. Die Sprengkraft eines solchen nuklearen Sprengkopfs läge nicht unter 1,5 Megatonnen, womit ein Steinasteroid mit einem Durchmesser von mehreren hundert Metern zerstört werden kann. Wenn mehrere davon in einer Erdumlaufbahn stationiert werden, dann läßt sich die Kraft des nuklearen Sprengkopfs und damit die Größe des zu zerstörenden Objektes noch deutlich steigern.

Anfänglich ging man davon aus, daß Fahrzeuge wie die Sonden Mars-96 oder Phobos-Grunt, die bei Lawotschkin entwickelt wurden, als Standardfahrzeuge für Aufklärungssatelliten und Abfangraketen dienen könnten. Aber aufgrund der zahlreichen Fehlschläge, von denen die Lawotschkin-Vehikel betroffen waren, ist die Wahrscheinlichkeit, daß die russische Weltraumindustrie das System Zitadelle allein bauen wird, deutlich gesunken. Die beste Option wären vermutlich kombinierte Missionen, in denen Rußland die Trägerrakete liefert und das eigentliche Raumfahrzeug von der NASA und der ESA gebaut wird.

Das Abfangen großer Asteroiden und Kometen in großer Entfernung von der Erde wird die Schaffung einer langfristigen Reaktionsstaffel erfordern, dessen Arbeitsweise mit der operationellen Reaktionsstaffel vergleichbar ist. Es wird aber auch wichtige Unterschiede geben. Insbesondere werden diese Abfangmittel die gefährlichen Weltraumobjekte in der Regel nicht zerstören, sondern aus ihrem Kollisionskurs mit der Erde weglenken. Deshalb könnte man, je nach den Eigenschaften des gefährlichen Himmelskörpers, seiner Bahn und der zur Verfügung stehenden Zeit zur Ablenkung nicht nur nukleare Sprengköpfe, sondern auch andere einsetzen – kinetische („Gottespfeile“), reaktive, „Weltraum-Billard“, etc.

Dafür werden wir große Nutzlasten verschiedener Art benötigen, um die schweren Abfangsatelliten im Weltraum mit mehrstufigem Antrieb zusammenzubauen. Für die Abwehr kosmischer Bedrohungen werden wir also Ressourcen der ganzen Welt benötigen, insbesondere aus den Ländern, die über Weltraum- und Nuklearkapazitäten verfügen (Rußland, USA, Westeuropa, China, Japan, Indien). Es muß offensichtlich einen ständigen Zyklus von Projektentwicklungs- und anderen Arbeiten geben. Das könne nach dem Prinzip der „grünen Welle“ geschehen, wo die Resultate, die beispielsweise in Europa eingeleitet werden, in den Amerikas (nach ihrer Übertragung durch Computernetzwerke) fortgeführt werden, gefolgt von Asien etc. Damit diese Arbeiten schnell organisiert werden können, muß die Menschheit natürlich im Voraus eine Art Mobilisierungsplan für die Verteidigung der Erde ausarbeiten für den Fall, daß eine solche bedrohliche Lage entsteht.

Aber nur eine Grundlage an Ressourcen, Wissenschaft und Technik allein wird noch nicht den Erfolg im Kampf gegen Bedrohungen aus dem Weltraum sicherstellen, wenn wir nicht auch eine planetenweite Strategie für indirekte Maßnahmen zur Vermeidung solcher Bedrohungen entwickeln und umsetzen. Das verlagert das Problem der Verteidigung gegen die Bedrohung durch Asteroiden und Kometen aus dem rein wissenschaftlichen in den politischen Bereich. Wir müssen eine wirksame Strategie zur systemischen Vermeidung/Ablenkung von Bedrohungen für die gesamte Existenz der Zivilisation auf der Erde entwickeln. Sonst wird die Menschheit weiter russisches Roulette mit dem Kosmos spielen, und in diesem Spiel kann man, wie wir wissen, nicht jedesmal gewinnen.

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